Review: Musik generieren mit AIVA
Eine künstliche Intelligenz, die komponieren kann? AIVA verspricht genau das: Ein KI-Tool, mit dem man in wenigen Minuten Musik generieren kann. Ich habe mir das Programm genauer angeschaut. Nach etwa 200 generierten Musikstücken möchte ich euch in diesem Testbericht meine Erfahrungen mit der musikalischen künstlichen Intelligenz zusammenfassen.
Instrumente
AIVA verfügt über einen respektablen Umfang an virtuellen Musikinstrumenten. Neben den Klassikern, die man erwarten würde, wie Klavier, Violine und Gitarre, gibt es auch eine größere Menge an Synthesizern und sogar einige weniger bekannte Instrumente wie Kalimba oder Erhu.
Für manche Instrumente gibt es auch verschiedene Unterarten: Soll das Klavier eher wie ein Flügel klingen oder wie ein Keyboard? Außerdem lässt sich bei den meisten Instrumenten auswählen, wie die Instrumente gespielt werden sollen – z. B. Legato oder Stakkato.
Viele Instrumente klingen recht überzeugend, solange sich nicht einzelne Töne oft nacheinander wiederholen, was in den automatisch generierten Kompositionen leider doch recht regelmäßig vorkommt.
Komponieren
Zum Generieren von Musik hat man mehrere Möglichkeiten: Zum einen gibt es diverse „Preset Styles“. Hier kann man sich einen von vielen verschiedenen vordefinierten Musikstilen auswählen, im nächsten Schritt noch ein paar Einstellungen festlegen (z. B. Takt, Länge und Geschwindigkeit) und so sehr schnell, mit wenigen Klicks in die Generierung starten.
Wer mehr Kontrolle darüber haben möchte, was für Musik entsteht, kann sich eigene „Generation Profiles“ anlegen, in denen man nahezu sämtliche Details des zu generierenden Stückes einstellen kann, z. B. Instrumentierung, Art der Tonfolge und der Harmonien sowie Komplexität der zu erzeugenden Melodien.
Die Einstellungsmöglichkeiten sind nahezu grenzenlos. Entsprechend erschlagen fühlt man sich, wenn man zum ersten Mal versucht, ein eigenes Generation Profile zu erstellen. Aber das ist so auch in Ordnung. Schließlich ist dieser Modus offenkundig für diejenigen Nutzer:innen gedacht, die alles ganz genau voreinstellen möchten. Für alle anderen gibt es ja schließlich die leicht zu bedienenden Preset Styles. Am besten man gräbt sich mal für ein paar Stunden ein und klickt sich durch die ganzen Untermenüs, um alle Möglichkeiten der Generation Profiles zu entdecken.
Darüber hinaus hat man auch die Möglichkeit, ein bestehendes Stück als „Influence“ hochzuladen, an dem sich die KI dann orientiert. Dieses Feature hat in meinen Tests eher schlecht als recht funktioniert. Es war zwar durchaus eine Ähnlichkeit zum Original zu erkennen. Aber die Ergebnisse waren jeweils nicht so, dass ich sie mir gerne angehört hätte. Da ist man aktuell noch besser dran, wenn man bei einem der Preset Styles bedient.
Integrierter Musik-Editor
AIVA gelingt es meistens gut, harmonisch stimmige Musikstücke zu generieren. Sollte doch einmal irgendeine Note nicht ganz dort sitzen, wo ihr sie haben wollt, lässt sich diese sehr schnell im hauseigenen Editor zurechtrücken. Wer schon einmal einen MIDI-Editor in einem beliebigen Musik-Programm genutzt hat, wird sich hier sofort ohne Schwierigkeiten zurechtfinden.
Aber auch alle anderen sollten schnell mit dem Interface klarkommen: Jedes Instrument, das im Stück enthalten ist, hat eine eigene Spur. Klickt man auf diese Spur, wird diese größer und macht die jeweils gespielten Töne in Form von horizontalen Balken sichtbar.
Diese Darstellung ist maximal intuitiv: Je weiter oben sich ein Balken befindet, desto höher ist der entsprechende Ton. Und je länger der Balken ist, desto länger ist der Ton. Auf der linken Seite ist eine Klaviertastatur abgebildet, die einem hilft, zu erkennen, um welchen Ton es sich handelt – basale Klavierkenntnisse vorausgesetzt.
Die Qualität der Ergebnisse
Eine große Schwachstelle hat die von AIVA komponierte Musik jedoch: Sie klingt überwiegend richtungslos. Oft bewegen sich die Melodien immer wieder rauf und runter, hin und her, ohne auf ein erkennbares Ziel hinzusteuern. Dadurch wirken sie nicht selten uninspiriert und langweilig in manchen Fällen sogar nervig. Dies liegt auch daran, dass AIVA dazu tendiert, einmal angefangene musikalische Muster länger zu wiederholen als dies ein menschlicher Komponist tun würde.
Das heißt allerdings nicht, dass in den Kompositionen nicht auch ab und zu ein Funken musikalischen Genies durchblitzt. Es gibt definitiv in vielen Kompositionen Momente, die interessant sind und Lust auf mehr machen. Diese werden jedoch schnell wieder abgelöst von richtungslosem Gedudel. Kompositionen, die durchgängig gelungen sind, findet man eher selten. Aber auch die gibt es.
AIVAs kompositorisches Können unterscheidet sich stark von Genre zu Genre. Im Generieren von Meditationsmusik, die sogar von der Richtungslosigkeit der Melodien profitieren kann, ist AIVA zum Beispiel ausgesprochen gut. Mit Hard Rock tut sich AIVA hingegen meiner Erfahrung nach am schwersten.
Hier ist ein Hörbeispiel, das ich mit dem Preset Style „Sea Shanty“ erstellt habe und das aus meiner Sicht recht repräsentativ ist für die derzeit eher noch durchwachsene Qualität der Kompositionen und Exporte, die man aktuell von AIVA erwarten darf.
Zu Beginn des Stücks lässt sich gut heraushören, dass die Streicher durch die mehrfache Wiederholung desselben Tons sehr künstlich klingen, weil es keine nennenswerte klangliche Varianz gibt. Die Stelle von ca. 0:31 bis etwa 0:44 ist wirklich ausgesprochen interessant geworden. Was dann aber folgt, sind weitestgehend richtungslos umherirrende Streicher. Diese Ziellosigkeit ist besonders gut ab etwa 1:50 zu hören. Und wie viele andere AIVA-Kompositionen endet auch dieses Stück recht abrupt.
Aber damit möchte ich AIVA definitiv nicht schlecht reden. Denn aus technischer Sicht ist es durchaus beeindruckend, was AIVA jetzt schon leistet. Und das Zukunftspotenzial ist immens. Deswegen ist hier noch ein kleiner Zusammenschnitt verschiedener selbstgenerierter AIVA-Kompositionen, die ich als durchaus gelungen bezeichnen würde.
Sehr zu loben ist bei AIVA, dass es nach aktuellem Stand eine dauerhaft kostenlose Version gibt, die kaum nennenswerte Einschränkungen hat. Nur die Anzahl der möglichen Downloads pro Monat ist auf 3 limitiert und die damit verbundenen Nutzungsrechte sind stark eingeschränkt. Wer aber AIVA einfach nur einmal ausprobieren möchte, um zu schauen, was das KI-Tool bereits kann, bekommt hier umfangreiche Möglichkeiten geboten und kann unendlich viele Stücke generieren. So großzügige Testmöglichkeiten würde ich mir auch von anderen Tool-Anbietern wünschen.
Ebenfalls positiv: Im Chat-Fenster auf der AIVA-Website hatte ich immer sehr schnellen und freundlichen Kontakt zu Mitarbeitenden von AIVA.
Abschließende Gedanken
Insgesamt ist AIVA noch nicht soweit, dass es eine echte Alternative zu Stock-Musik-Bibliotheken darstellt. Aber wenn sich die Entwicklung bei musikgenerierender KI ähnlich schnell vollzieht wie bei bildgenerierender KI, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bevor künstliche Intelligenz auch Musik so gut generieren kann, dass sie nicht mehr von menschengemachter Musik zu unterscheiden ist.
In Bezug auf die Zukunft der Musikproduktion mit KI schlagen zwei Herzen in meiner Brust: Als Videoproduzent freue ich mich darauf, in Zukunft ohne nennenswerten Aufwand exakt die Musik generieren zu können, die ich für meine Kundenprojekte brauche. Als Komponist hingegen habe ich das Gefühl, das viele Menschen in Zukunft haben dürften, nämlich dass mein Job durch vielleicht nicht unbedingt bessere aber dafür unschlagbar günstige künstliche Intelligenz ersetzt werden wird.
Ich habe daraus für mich bereits die Konsequenz gezogen, dass ich meine Kompositionen nicht mehr aufbereiten werde, um sie als Stock-Musik zu verkaufen. Denn ich bin mir zum einen recht sicher, dass die Stock-Musik-Portale bald von Unmengen an KI-Musik geflutet werden. Zum anderen kann es auch passieren, dass gute musikgenerierende KI-Tools besagte Stock-Musik-Portale an sich obsolet machen werden.
Damit möchte ich nicht sagen, dass der Beruf des Komponisten gar keine Zukunft mehr hat. Zumindest mittelfristig werden Komponisten immer dann gebraucht werden, wenn Auftraggeber sehr spezifische Vorstellungen haben, die von KI nicht exakt genug umgesetzt werden würden. Außerdem werden Komponisten, denen es gelingt, eine starke Personal Brand aufzubauen, vermutlich nicht fürchten müssen, keine Aufträge mehr zu erhalten. Wenn ein Regisseur gerne Musik vom echten Hans Zimmer in seinem Film haben möchte, wird er Hans Zimmer der KI vorziehen. Selbst dann, wenn die KI ähnliche Musik produzieren könnte.
Aber bis es einmal soweit ist, hat AIVA noch einen weiten Weg vor sich. Und ich bin gespannt, ihn mitzuverfolgen.